- Menschen verbinden -

 

Aufmerksamkeit

Es gibt zwei Phänomene, die mich immer wieder beschäftigen und die auch in unverfänglichen Konversationen frustrierend wirken können.

1. Die „Abbruchkante“

Es ist ein ganz normales abendliches Beisammensein. Fünf oder sechs Personen sitzen miteinander am Tisch, man hat gut gegessen, unterhält sich, tauscht Erlebnisse oder Meinungen aus, plaudert miteinander. Eine Person, nennen wir sie Tina, erläutert gerade allen am Tisch, warum sie demnächst ihre Stelle wechseln möchte. Zunächst scheinen ihr alle zuzuhören, bis nach einigen Minuten sich einer der anderen, den wir hier Andreas nennen, seinem Sitznachbarn zuwendet, um diesem von seinem neuen Leasingfahrzeug zu erzählen.

Oft fällt mir gerade in informellen, privaten Zusammenkünften auf, dass in den Gesprächsrunden sich nicht immer alle auf eine Person konzentrieren, die gerade spricht, sondern schnell jeweils zwei oder drei sich quasi vom Rest isolieren und selbst miteinander über ein Thema sprechen.

Das ist im Prinzip auch ganz natürlich und in Ordnung, denn nicht jeder interessiert sich in gleichem Maße für ein Thema, das einer am Tisch gerade anspricht.

In unserem Beispiel kann dies aber auch sehr ärgerlich sein für Tina, die gerade etwas erzählt und gerne alle gemeinsam daran teilhaben lassen würde. Vielleicht weil sie die Meinung nicht nur einer, sondern von mehreren Personen zu ihrem Thema interessiert, vielleicht auch einfach nur, weil sie gerne Anteilhabe spüren möchte.

In dem Moment, wo sich Andreas am Tisch seinen Nachbarn zuwendet, um mit ihm ein separates Gespräch zu beginnen, entsteht bei Tina ein Gefühl des Nichtwahrgenommenwerdens. Es beschleicht sie unter Umständen das unschöne Gefühl, andere zu langweilen oder von ihnen nicht respektiert zu werden.

Es fühlt sich ein bisschen an wie ein plötzlicher Stopp an einer Abbruchkante und vielleicht weiß Tina auch nicht recht, ob sie noch weitersprechen soll, insbesondere dann, wenn sich nun noch weitere Personen am Tisch Andreas‘ Leasing-Geschichte zuwenden…

 2. Die unwillkommene Ablenkung

Ein Gefühl der Irritation kann aber auch entstehen, wenn jemand gar nicht spricht, sondern einfach nur zuhören möchte. In unserer abendlichen Runde erzählt nun Michael von seiner Motorradtour im vergangenen Sommer und alle sind aufmerksam und erzählen teils auch eigene Motorraderlebnisse. Besonders Tina, die ebenfalls Motorrad fährt, findet das Thema interessant. Nun plötzlich fängt Marion, die neben ihr sitzt, an, Tina von den Problemen mit ihrem pubertierenden Sohn zu erzählen. Für Tina entsteht nun ein Konflikt durch diese unwillkommene Ablenkung: Sie möchte sich einerseits gerne an dem Gespräch übers Motorradfahren beteiligen, andererseits aber ihre Freundin Marion nicht einfach ignorieren. Und sie ärgert sich auch darüber, weil Marion so etwas in Gesprächsrunden häufiger tut.

 

Wie wäre es denn, wenn…

  • … wir in Gesprächsrunden ab und zu wieder öfter unsere Aufmerksamkeit mit etwas mehr „Durchhaltevermögen“ dem anderen schenken?
  • … wir in einer Runde, in der es ganz offensichtlich ist, dass jemand gerade alle am Tisch anspricht, unser eigenes Thema eine Weile zurückstellen?
  • … wir genauer darauf achten, ob derjenige, den wir gerade „herausreißen“ aus einer Runde, auch wirklich bereit ist für unser privates eigenes Thema?
  • … wir, wenn uns gerade das Thema der Runde nicht so wahnsinnig interessiert, einfach doch mal zuhören und nicht gleich versuchen, die Runde zu „sprengen“?

 

Interessante Beobachtung aus den letzten Wochen:

Durch die Corona-Situation und die damit verbundenen Kontakteinschränkungen treffen wir uns auch privat häufiger mal in kleinen Gruppen „online“. Das ist natürlich bei weitem nicht so schön wie ein echtes Treffen, aber…

… mir fällt auf, dass bei diesen Treffen tatsächlich fast immer der Focus der anderen bei der Person liegt, die gerade spricht. Es ist – von „Breakout Sessions einmal abgesehen – schlichtweg nicht möglich, dass mehrere Gespräche „am Tisch“ parallel laufen. Dem, was einer erzählt, wird insgesamt mehr Aufmerksamkeit geschenkt.

Das ist eine schöne Erfahrung, die es wert ist, im Bewusstsein zu bleiben.